Pro und Contra als Entscheidungshilfe
Zu einem kontrovers diskutierten Thema erhofft sich der Laie oft Rat und Entscheidungshilfe von Experten. Beim Thema Ganzjahresfütterung von Vögeln kann er dies vergessen. Die Meinungen sind und bleiben geteilt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Argumente für beide Standpunkte durchaus vernünftig anhören. Hier ein kurzer Überblick zum Stand der Diskussion:
Pro Ganzjahresfütterung:
Peter Berthold, einer der bekanntesten Ornithologen Deutschlands und bis 2005 Leiter einer Zweigstelle des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, spricht sich beispielsweise ganz klar für das Füttern aus und belegt dies mit folgenden wissenschaftlichen Fakten:
- Vögel, die das ganze Jahr gefüttert werden, brüten früher, legen mehr Eier und sind erfolgreicher bei der Aufzucht, dadurch wächst ihre Population
- Wer nur im Winter und bei Schnee füttert, nutzt lediglich den „Allerweltsarten“, wer ganzjährig füttert, kann bis zu 70 Arten an der Futterstelle beobachten
- Ein Überangebot an Nahrung ist nicht zu befürchten, da mittlerweile die in der Natur verfügbaren Futtermengen für Vögel erheblich geringer sind als beispielsweise 1950. Die Fütterung ist also nur ein schwacher Ausgleich für diesen menschengemachten Schwund, daher hat der Mensch sozusagen eine moralische Pflicht zu füttern
- Vögel brauchen für ihre Flugmuskulatur vor allem Fett. Während der Jungenaufzucht im Sommer steigt wegen der Jagd nach Insekten dieser Bedarf deutlich an. Daher ist auch zu dieser Zeit eine fettreiche Fütterung wichtig, um den jetzt benötigten „Treibstoff“ bereitzustellen
- Auch ein sehr vogelfreundlich bepflanzter Garten sichert nur einer sehr kleinen Vogelpopulation das Überleben. Ein Garten ist gut für Verstecke und Brutplätze, doch für die Ernährung bringt ein Futterplatz mehr als der artenreichste Ökogarten
- Ein Einfluss auf die natürliche Selektion findet nicht statt, da die entscheidende Selektion von der Vernichtung der natürlichen Lebensräume durch den Menschen ausgeht
- Ein höheres Erkrankungsrisiko durch die Futterstellen ist auch im Sommer nicht zu befürchten, da Vögel aufgrund ihrer hohen Körpertemperatur und ihres leistungsfähigen Immunsystems nur wenig anfällig für die Infektion mit Krankheitserregern sind.
Contra Ganzjahresfütterung
Naturschutzorganisationen wie der NABU sprechen sich dagegen strikt gegen die Ganzjahresfütterung aus. Sie verneinen viele der eben genannten Fakten:
- Vogelfutterstellen erreichen nur 10 bis 15 Vogelarten und damit nur selten wirklich gefährdete Arten
- Durch die Ganzjahresfütterung kann der Rückgang an Vogelarten nicht aufgehalten werden. Dies zeigen Untersuchungen in Großbritannien, wo die Ganzjahresfütterung weit verbreitet ist
- Zufütterungen während des Sommers haben keine positiven oder negativen Auswirkungen auf den Erfolg bei der Jungenaufzucht
- Vorrangig sei daher, vielfältige und gesunde Lebensräume zu schaffen, damit ein reiches natürliches Nahrungsangebot zur Verfügung steht
- Vogelfreunde hätten daher bessere Fördermöglichkeiten als eine Ganzjahresfütterung
Was tun?
Welche Argumente nun überzeugender sind, müssen und dürfen Sie wohl selbst entscheiden, ohne befürchten zu müssen, größeren Schaden anzurichten. Zwei Schlussfolgerungen scheinen aber wohl für die Ganzjahres- wie für die Winterfütterung entscheidend zu sein: Sorgen Sie regelmäßig an ihrer Futterstelle für Nachschub und stellen Sie die Fütterung keinesfalls von heute auf morgen ein, da sich die Vögel darauf einstellen. Außerdem ist artgerechtes, fettreiches Futter zu jeder Jahreszeit das Beste für unsere gefiederten Nachbarn.
Lesetipp: Peter Berthold, Gabriele Mohr: Vögel füttern – aber richtig. Anlocken, schützen, sicher bestimmen