Was ein Igel so erleben kann

Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Isabel und ich bin ein Braunbrustigel (Erinaceus europaeus), auch unter der Bezeichnung Europäischer Igel bekannt. Ich möchte Euch von meinem Leben erzählen. Ich darf doch „Du“ sagen, oder? Wir Igel sind nämlich Einzelgänger und haben es daher nicht so mit gesellschaftlichen Umgangsformen.

Igel schaut aus Karton, copyright Berit Franz

Meine Igelgefährten leben in ganz Europa. Dabei ist es uns ziemlich egal, ob in Wäldern, an Wiesen und Feldern, im Gebirge oder immer häufiger auch in der Stadt. Wir sind sogenannte Kulturfolger. Das wäre mir beinahe zum Verhängnis geworden, war aber letztlich auch meine Rettung.

Todfeind Auto

Aber von Anfang an: Geboren wurde ich in Krefeld, einer mittelgroßen Stadt am Niederrhein. Als ich im Spätherbst mal wieder in der Nacht – unserer bevorzugten Aktivitätszeit – auf der Suche nach meiner nächsten Mahlzeit war, hat mich ein Auto erwischt. Die sind aber auch so verflixt schnell! Ich kann zwar bis zu 10 km/h schnell laufen, aber was ist das gegen ein Auto?

Zum Glück war ich nur verletzt und wurde von einer Gassigängerin mit Dackel (Pfui, Aus!) gefunden. Die hat mich ins Krefelder Tierheim gebracht. Die haben dort eine Pflegestation für Igel, wo ich gesund gepflegt wurde und meinen Winterschlaf halten konnte. Dann wurde es Frühjahr und ich sollte wieder freigelassen werden. Aber wo sollte ich jetzt hin? Mitten in der Stadt, wo ich gefunden wurde, wäre die Gefahr viel zu groß, dass ich wieder verletzt oder gar getötet werde.

Neues Zuhause

Meine Finderin hatte allen Bekannten von mir und meinem Dilemma erzählt. Eine davon wohnt in einer kleineren Stadt am Niederrhein und hat einen Garten direkt am Stadtrand, der an viele andere grenzt. Dort lebte viele, viele Jahre ein Igel, der aber nun verschwunden war, wahrscheinlich gestorben. Wir Igel werden in der freien Natur etwa sechs bis sieben Jahre alt (wenn wir nicht vorher überfahren werden), in Gefangenschaft aber auch über zehn Jahre.

Hier war also ein Platz frei und so konnte ich in mein neues Zuhause umziehen. Den Umzug fand ich erst einmal gar nicht toll. Ich kam mit etwas Stroh in eine Kiste und dann in ein Auto, meinen größten Feind! Die Fahrt dauerte über eine halbe Stunde, es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Als wir dann endlich da waren, wurde die Kiste oben geöffnet und ich konnte schon einmal den Himmel sehen und die Geräuschkulisse meiner neuen Heimat kennenlernen.

Ich war ja so neugierig. Aber damit war ich nicht allein, eine schwarz-weiße Katze schaute in meine Kiste. Vor Katzen haben wir Igel ja gar keine Angst, wenn sie kommen, rollen wir uns einfach zusammen und sie schauen „dumm aus der Wäsche“. Vor allem, wenn wir ihr Futter fressen (hihi), das manche Katzenbesitzer für ihre Mieze nach draußen stellen.

Katze neugierig auf Igel im Karton, copyright Berit Franz

Ein Igel im Garten

Dann durfte ich endlich raus und begann den Garten zu erkunden. Gar nicht so schlecht, es gibt Haufen aus Ästen und Zweigen, wo ich mich verstecken kann. Viele verschiedene Pflanzen wachsen hier, da werde ich wohl auch genug zu Essen finden. Am liebsten futtere ich Käfer, Schnecken, Larven, Würmer und alles was noch so rumkriecht. Milch vertrage ich dagegen gar nicht, da ist mir Katzenfutter schon lieber.

Igel frisst Katzenfutter, copyright Berit Franz

Zwei Wasserschalen gibt es auch und eine Stelle, wo ich unter dem Zaun durchschlüpfen kann, um auch in die anderen Gärten zu gelangen. Hinter dem Zaun ist ein großer Haufen aus Zweigen, Ästen, vertrockneten Pflanzenteilen und Grasschnitt – das wird mein nächstes Winterquartier! Da habe ich es warm und es sieht nicht so aus, als ob diese Stelle mal aufgeräumt wird.

Viele Jahre lebe ich jetzt schon hier. Ab und zu habe ich Besuch von einem Igel-Mann, aber nach der Paarung vertreibe ich ihn gleich wieder. Das hier ist und bleibt allein mein Revier! Ab und zu begegne ich den Gartenbesitzern, wenn sie in der Dämmerung noch einmal im Garten unterwegs sind. Aber meist bemerken sie nur an meinen „Hinterlassenschaften“ oder an meinem Gezische, wenn ich die Igel-Männer wieder vertreibe, dass ich noch da bin.

Igelpaar, Herkunft Pixabay

Böses Erwachen

Im letzten Herbst hatte ich mich wie immer in mein Winterquartier zurückgezogen. Ich war gerade so schön eingeschlafen, da wurde ich durch einen fürchterlichen Lärm und heftige Erschütterungen wieder geweckt. Was war denn jetzt los? Kann man denn nicht mal mehr in Ruhe Winterschlaf halten? Vorsichtig lugte ich durch die äußeren Zweige meines Haufens. Ein riesiges gelbes Ungetüm war auf dem Wall direkt hinter meinem Haufen zu sehen. Davor ein Mann, der alle Bäume darauf absägte! Die wurden dann von dem Greifarm des Ungetüms auf die Straßenseite des Walls geworfen.

Abholzung Lärmschutzwall, copyright Berit Franz

Ich hatte furchtbare Angst. Würde das Ungetüm auch meinen Haufen wegräumen? Mir fiel nichts Besseres ein, als mich ganz tief darin zu verkriechen und das Beste zu hoffen. Nach fast drei Tagen war es endlich wieder still und mein Haufen war noch da, was für ein Glück. Ich schlief wieder ein.

Als ich im Frühling wieder munter wurde, viel später als sonst, denn das Wetter war diesmal lange ungemütlich, traute ich meinen Augen kaum: Der Wall mit seinem dichten Bewuchs aus Bäumen und Sträuchern war fast kahl. Nur noch kurze Stümpfe ragten aus dem Boden. Ich war total deprimiert.

Grün ist die Hoffnung

Bei näherer Untersuchung fiel mir dann auf, dass aber auch schon wieder neue Pflanzen gesetzt worden waren. Wie ich aus den Gesprächen der Gartenbesitzer mit ihren Nachbarn heraushören konnte, hatten die sich bei der Stadt über den Kahlschlag beschwert. Daraufhin wurde gepflanzt und „meine“ Gartenbesitzer haben auch noch mal Sträucher gekauft und eingepflanzt. Daher hoffe ich, dass bald alles wieder grün wird. Schließlich konnte ich hier Nahrung finden und es war auch nicht so laut. Wir Igel haben nämlich nicht nur einen guten Geruchssinn, sondern auch ein empfindliches Gehör.

Jetzt ist es Mai und alles wächst und gedeiht. Drückt mir die Daumen, dass ich gesund bleibe und es noch erlebe, dass „mein“ Wall wieder dicht bewachsen ist.

Viele Grüße von Isabel                Igel Gesicht, copyright Berit Franz

Wenn Ihr wissen wollt, wie Ihr einem Igel helfen könnt, dann schaut beim Pro Igel e.V. oder beim NABU vorbei!

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